01. Dezember 2024

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Tag der Menschen mit Behinderungen

Das Gesundheitswesen muss barrierefreier werden

Symbolbild Rollstuhlfahrerin in Arztpraxis© Adobe Stock / H_Ko

Stuttgart, 2. Dezember. Im Gesundheitssektor müssen bauliche und kommunikative Barrieren abgebaut werden, damit auch Menschen mit Behinderungen die bestmögliche medizinische Versorgung bekommen. Darauf machen die Landesärztekammer und die Beauftragte der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Simone Fischer, am Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen am 3. Dezember aufmerksam. Damit die Weiterentwicklung hin zur Barrierefreiheit gelingt, brauche es die gemeinsame Anstrengung aller Beteiligten und mehr staatliche Unterstützung. 

Simone Fischer, Beauftragte der Landesregierung für die Belange der Menschen mit Behinderungen: „Alle Menschen haben das Recht auf eine angemessene medizinische Versorgung. Allerdings haben Menschen mit Behinderungen vielfach keinen Zugang zu den Angeboten des Gesundheitswesens. Wenn beispielsweise eine Frau, nach einem Sportunfall halsabwärts gelähmt, seit über 15 Jahren keinen Zugang mehr zu einer Gynäkologin oder einem Zahnarzt hat, weil es weit und breit keine geeignete Praxis gibt, kann uns das nicht zufriedenstellen. Fehlende Barrierefreiheit und mangelndes Wissen in Bezug auf Behinderungen schränken das Recht auf freie Arztwahl und gesundheitliche Versorgung für Menschen mit Behinderungen ein.“

„Für Ärztinnen und Ärzte ist die gleichberechtigte und bedarfsgerechte medizinische Versorgung von Menschen mit Behinderungen und Einschränkungen ein wichtiges Thema“, betont Dr. Robin Maitra, Mitglied im Vorstand und Menschenrechtsbeauftragter der Landesärztekammer Baden-Württemberg. Die Gleichbehandlung aller Patienten sei im ärztlichen Berufsethos verankert, Deutsche Ärztetage hätten diese Gleichbehandlung bereits angemahnt. „Dennoch wird unser Gesundheitssystem diesem Bedarf noch nicht überall gerecht“, konstatiert Dr. Maitra.

Gesetzliche Regelungen

Nach Artikel 25 der UN-Behindertenrechtskonvention haben Kinder und Erwachsene mit Behinderungen genauso uneingeschränkte Rechte auf ihre gesundheitliche Versorgung wie Menschen ohne Behinderungen. Ein gleichberechtigter Zugang zur Gesundheitsversorgung ist das Ziel. Zudem legt Artikel 3 des Grundgesetzes fest, dass niemand aufgrund einer Behinderung benachteiligt werden darf.

In der Realität sind leider längst nicht alle Arztpraxen und Kliniken für Menschen mit Behinderungen in geeigneter Weise zugänglich. Dabei ist zu beachten, dass sich wirkliche Barrierefreiheit nicht in einigen wenigen „Standard-Maßnahmen“ wie Rollstuhlrampen oder behindertengerechten WCs erschöpft. Denn die Gruppe von Menschen mit Behinderungen ist heterogen, Bedarfe an die Ausstattung und Räumlichkeiten einer Praxis sind folglich vielfältig: Orientierungs-Leitsysteme für sehbehinderte Menschen, höhenverstellbare Untersuchungsliegen und Röntgenapparaturen, Anmeldetresen mit abgesenktem Bereich, rutschhemmende Bodenbeläge – das alles und mehr gehört dazu.

Neben Maßnahmen der baulichen Barrierefreiheit gilt es auch, Barrieren in der Kommunikation abzubauen. So benötigen beispielsweise gehörlose Menschen Gebärdensprachdolmetscher, um Zugang zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung zu bekommen. Auch Leichte Sprache, etwa bei Informationsmaterial oder Anamnesebögen, spielt eine wichtige Rolle, um Barrieren im Gesundheitswesen abzubauen.

Gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Eine solch umfassend barrierefreie Weiterentwicklung des Gesundheitssektors ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und seitens der öffentlichen Hand zu unterstützen. Erst Ende November hatte die Vertreterversammlung der Landesärztekammer beschlossen, die Landes- und Bundesregierung aufzufordern, mit Förderprogrammen gezielt Mittel bereitzustellen, um den Abbau baulicher und kommunikativer Barrieren zu ermöglichen. Denkbar wäre beispielsweise ein bundesweites Förderprogramm zur Barrierefreiheit von Einrichtungen des Gesundheitswesens, betont Dr. Maitra. So könnte beim Praxisaus- oder -umbau – beispielsweise im Rahmen von Praxisübernahmen – auf finanzielle Hilfen zurückgegriffen werden. Auch Kliniken könnten mithilfe von Fördermitteln die Gestaltung barrierefreier Räumlichkeiten besser umsetzen. Seit Jahren werde die Erweiterung der Verpflichtung zur Barrierefreiheit auf den privaten Sektor gefordert, sagt Dr. Maitra. Dies würde dann gerade auch Arztpraxen betreffen. Entsprechende Gesetzesvorhaben seien bereits angestoßen. Neue gesetzliche Regelungen und Vorgaben zur Barrierefreiheit in Neu- und Bestandsbauten müssten mit öffentlicher Unterstützung gekoppelt sein.

Die Bundesregierung stellte bereits einen Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen vor. Zudem fassten die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder im vergangenen Oktober den Beschluss, sich dafür einzusetzen, die selbstbestimmte, gleichberechtigte und wirksame Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen zu fördern.

Zum Abbau von Barrieren beitragen

Sensibilisierungs- und Qualifizierungsmaßnahmen für das Personal im Gesundheitswesen tragen maßgeblich zum Abbau von Barrieren bei. In Schulungen kann Wissen über die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten mit Behinderungen, über vorhandene Barrieren und Möglichkeiten, sie abzubauen, sowie zur barrierefreien Kommunikation vermittelt werden, so Simone Fischer. Dabei stelle die Beteiligung von Menschen mit Behinderungen als Expertinnen und Experten in eigener Sache sicher, dass die Selbstwirksamkeit von Menschen mit Behinderungen gestärkt und eine inklusive Haltung im Gesundheitswesen verankert werde. „Mit der Kooperation ‚Gemeinsam Gesund‘ hat das Land mit dem Netzwerk Inklusion Region Freiburg ein Konzept und Angebot initiiert, das durch Sensibilisierung, Partizipation und Vernetzung eine inklusive Gesundheitsversorgung befördern und die Kompetenzen aller Akteure stärken soll“, so die Landes-Behindertenbeauftragte Simone Fischer.

Die Landesärztekammer und die Beauftragte der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen sind sich einig, dass die Gesundheitsversorgung einen zentralen Lebensbereich darstellt und der „Umbau“ hin zur Barrierefreiheit mit hoher Priorität angegangen werden muss. „Wenn es um Gesundheit geht, müssen alle Menschen gleich gut zur Ärztin oder zum Arzt kommen“, betonen Simone Fischer und Dr. Robin Maitra.