Die Landesärztekammer lässt auf Beschluss ihrer Vertreterversammlung in den nächsten drei Jahren die Geschichte der verfassten Ärzteschaft auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Baden-Württemberg in der Zeit von 1920 bis 1960 umfangreich wissenschaftlich aufarbeiten. Auftragnehmer ist das Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung unter der Leitung von Prof. Dr. Robert Jütte.
Ziel des im März 2018 begonnenen Projekts ist es, die Geschichte der Ärzteschaft auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Baden-Württemberg von 1920 bis 1960 aufzuarbeiten.
Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt dabei auf der NS-Zeit und der Integration der Ärzteschaft in den Parteiapparat und die NS-Gesundheitspolitik. Zentral ist hier der Themenkomplex Eugenik, welcher sowohl in der Ärzteschaft als auch in der bürgerlichen Gesellschaft schon in der Weimarer Republik zunehmendes Interesse erfuhr. Dies war zunächst kein spezifisch nationalistisches Thema, sondern wurde von allen Parteien des politischen Spektrums behandelt.
Ebenso wird der Umgang der ärztlichen Standesorganisationen mit jüdischen bzw. nichtarischen Kollegen analysiert und auch hinsichtlich der Formen des Widerstands betrachtet werden.
Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich dabei über die Zäsur des Zweiten Weltkrieges hinaus, um auch die Reorganisation der Ärzteschaft in der Nachkriegszeit im Hinblick auf Brüche und Kontinuitäten beleuchten zu können.
Die Ausdehnung des Untersuchungszeitraums ermöglicht es, darüber hinausgehend sowohl die Entwicklung der ärztlichen Aus- und Weiterbildung als auch den Umgang der etablierten Ärzte mit dem medizinischen Nachwuchs und der zunehmenden Bedeutung von Medizinerinnen in einem fast vollständig männlich dominierten Feld über unterschiedliche politische Systeme hinweg zu betrachten.
Als Quellen herangezogen werden vor allem die Bestände des Hauptstaatsarchivs Stuttgart, des Staatsarchivs Ludwigsburg und des Bundesarchivs Berlin (Berlin Document Center) sowie der Archive der ärztlichen Selbstverwaltung, also Landesärztekammern und Bundesärztekammer. Ergänzend kommen regionale und überregionale medizinische Fachzeitschriften und Ego-Dokumente hinzu.