10. Juli 2024

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Zusatzweiterbildung Homöopathie

Dr. Miller: „Wir bringen ein zweijähriges Verfahren zum Abschluss“

Landesärztekammer-Präsident Dr. W. Miller im Interview© Landesärztekammer Baden-WürttembergDr. Wolfgang Miller, Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg, im Interview

Stuttgart, 11. Juli 2024. Am 20. Juli positioniert sich das baden-württembergische Ärzteparlament (Vertreterversammlung der Landesärztekammer) im Rahmen seiner Sommersitzung final zur Zusatzweiterbildung Homöopathie. Das Thema wurde und wird in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Mit der baldigen Entscheidung geht ein zweijähriger Verfahrensprozess der Ärztekammer zu Ende.

Bereits im Sommer 2022 hatte die Vertreterversammlung – damals noch in anderer Zusammensetzung – beschlossen, die Zusatzweiterbildung Homöopathie aus der Weiterbildungsordnung zu streichen. Anlass war nach Ansicht der Vertreterversammlung die fehlende wissenschaftliche Evidenz der Homöopathie.

Dr. Wolfgang Miller, Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg, gibt im Interview einen Ausblick auf die Sitzung am 20. Juli und liefert Hintergründe.

Worum geht es bei der anstehenden Entscheidung des Ärzteparlaments in Sachen Homöopathie überhaupt? 

Dr. Miller: Die Ärztekammern legen fest, was eine Fachärztin beziehungsweise ein Facharzt können muss und was für eine bestimmte Zusatzqualifikation erlernt und nachgewiesen werden muss. Das ist eine gesetzliche Aufgabe der Ärztekammer. Dies ist eine Chance, manchmal aber nicht ganz einfach zu leisten – und das ist natürlich im Fluss.

Die öffentliche Diskussion um die Wirksamkeit der Homöopathie ist auch an der Ärztekammer nicht vorbeigegangen.

Formal werden wir am 20. Juli entscheiden, ob die sogenannte Zusatzweiterbildung Homöopathie weiterhin als gegliedertes Programm mit einer Prüfung und Anerkennung bei der Ärztekammer erhalten bliebt. Also: Ob sich Ärztinnen und Ärzte bei uns im Südwesten weiterhin wie bisher auf dem Feld der Homöopathie weiterbilden können und ob dieses Weiterbildungsprogramm offiziell weiterhin von der Kammer begleitet wird.

Warum ist die Debatte rund um das Thema „Homöopathie“ emotional so aufgeladen?

Dr. Miller: Die Menschen wünschen sich, dass sich die Ärztinnen und Ärzte Zeit für ihre Sorgen und Probleme nehmen. Die klassische Homöopathie baut gerade auf die ausführliche Anamnese, also das Erfragen der Vorgeschichte, der Beschwerden, auch der Lebensumstände des Einzelnen, sie will den Menschen ganzheitlich erfassen. Sie wünschen sich eine Therapie ohne Risiken und Nebenwirkungen. Jeder kennt die Globuli, die den Kindern bei leichteren Infekten gegeben werden, ohne jedes Risiko, ohne die sogenannte Chemie. Wenn die Kinder gesund werden, spielt es keine Rolle, ob die Globuli geholfen haben. Beides – das ausführliche Gespräch und eine nebenwirkungsarme Behandlung – kennzeichnet die Homöopathie.

Andere wollen hingegen kein Geld ausgeben für Methoden, deren Wirksamkeit strittig ist; sie wollen den Krankenkassen generell verbieten, auch nur einen einzigen Euro für die Homöopathie zu bezahlen. Diese Kosten haben bisher nach Einschätzung der Gesundheitspolitiker keine große Rolle gespielt. Auf freiwilliger Basis konnten die Kassen das im Einzelfall erstatten.

Der Riss geht quer durch die Bevölkerung, auch durch die politischen Parteien. Politiker und ernstzunehmende Wissenschaftler finden Argumente dafür und dagegen. Selbst der Bundesgesundheitsminister hat überraschend seine Einschätzung geändert. All das spricht dafür, dass es hier kein klares „Entweder-oder“ gibt. Daher interessieren sich die Menschen im Land auch dafür, was Ärztinnen und Ärzte als Gesundheitsexpertinnen und -experten zur Thematik zu sagen haben.

Was passiert, wenn die Vertreterversammlung am 20. Juli beschließt, die Zusatzweiterbildung Homöopathie zu streichen? 

Dr. Miller: Die Ärztekammer wird dann keinen offiziellen Titel ‚Zusatzweiterbildung Homöopathie‘ mehr vergeben und es wird in diesem Fach keine Prüfung vor der Ärztekammer mehr geben. Das heißt für Ärztinnen und Ärzte: Sie können die Zusatzweiterbildung Homöopathie nicht mehr absolvieren.

Bevor die Ärztekammer ihre Statuten dahingehend ändert, muss zuvor noch das Sozialministerium als zuständige Aufsichtsbehörde prüfen, ob alle formalen Vorgaben eingehalten wurden.

Kommt die Streichung der Zusatzweiterbildung einem Verbot der Homöopathie in Baden-Württemberg gleich?

Dr. Miller: Die Streichung ist nicht mehr und nicht weniger als eine Anpassung der ärztlichen Weiterbildungsordnung. Die Homöopathie ist dann keine offiziell anerkannte Zusatzweiterbildung mehr. Das heißt nicht, dass wir die Homöopathie verbieten. Das dürfen und wollen wir nicht! Die Therapiefreiheit ist ein sehr hohes Gut; natürlich dürfen Ärztinnen und Ärzte weiter homöopathisch behandeln. Wie im Einzelfall therapiert wird, legen Ärztinnen und Ärzte gemeinsam mit ihren Patienten fest.

Fragen rund um die Homöopathie können außerdem weiter im Rahmen von ärztlichen Fortbildungen thematisiert werden. ‚Fortbildung‘ und ‚Weiterbildung‘ sind ja zwei verschiedene Bereiche.  

Die Homöopathie hat seit über 100 Jahren ihren Stellenwert für viele Menschen im Land. Das wollen und können wir durch einen Mehrheitsbeschluss in unserer Vertreterversammlung nicht beenden oder gar verbieten. So wie die Homöopathie als Zusatzweiterbildung vor einigen Jahrzehnten in die Weiterbildungsordnung aufgenommen wurde, wäre eine Streichung jetzt auch ein Stück weit Spiegel der aktuellen Diskussion bei uns in Deutschland. Interessant ist, dass in Österreich die Verantwortlichen der Ärztekammer und in der Schweiz sogar die Bevölkerung in einem Volksentscheid diese Methoden klar in der Versorgung verankert haben.

Und was passiert, wenn die Vertreterversammlung beschließt, dass die Zusatzweiterbildung erhalten bleiben soll?

Dr. Miller: Dann bleibt formal alles, wie es ist. Die Zusatzweiterbildung Homöopathie wird weiterhin offiziell angeboten. Ärztinnen und Ärzte können sie im Rahmen der Ärztekammerstrukturen weiterhin absolvieren.

Seit dem Anstoßen des Prozesses im Sommer 2022 ist viel Zeit vergangen …

Dr. Miller: Wir bringen in der Tat ein zweijähriges Verfahren zum Abschluss. In unseren Landesgesetzen ist bei solchen Entscheidungen von öffentlichem Interesse eine aufwendige Verhältnismäßigkeitsprüfung mit Beteiligungsverfahren und öffentlicher Anhörung vorgeschrieben. Das Verfahren selbst muss vom Sozialministerium genehmigt werden.

Etwa 1.500 Bürgerinnen und Bürger, auch Ärztinnen und Ärzte, haben ihre Stellungnahmen abgegeben, das Für und Wider wurde im Rahmen einer öffentlich übertragenen Veranstaltung im März dargestellt. Auch danach wird die Diskussion nicht weniger heftig weitergeführt.